City-Logistik: Lösungsansatz oder Verschlimmbesserung?
In den letzten Monaten des vergengenen Jahres rauschten medial diverse Berichte und Expertenmeinungen durch den analogen und digitalen Blätterwald: «Keine Päckli mehr vor die Haustür!», «SalüBox startet Testbetrieb» oder «Luzern will Hauszustellung von Paketen verbieten». Die Frage muss erlaubt sein: Ist das realistisch?
Zuerst möchte ich einen Grundlagenirrtum aus der Welt schaffen: Kein KEP-Dienstleister (KEP = Kurier, Express, Paket) fährt mit halbleerem Fahrzeug los. Beim Start ist heute fast jedes KEP-Fahrzeug bis unters Dach geladen. Mit fortgeschrittener Zustelldauer leert sich aber auch das Fahrzeug zunehmend. Es ist also durchaus möglich, (halb)leere Zustellfahrzeuge zu sehen, aber fast jede Tour beginnt voll beladen – auch in der Innenstadt. Ein weiteres Geheimnis: Die meisten Zustellfahrzeuge sind im Durchschnitt über eine Zustelltour nur zu 50 Prozent ausgelastet. Denn auf dem Rückweg sind sie meistens leer oder mit Retouren teilweise gefüllt.
Kann man die Effizienz noch steigern?
Ist es nun effizienter, wenn jeden Tag elf Lieferfahrzeuge von verschiedenen Dienstleistern Innenstadt-Adressen beliefern, oder ist es unter Umständen effizienter, wenn wir an einem Umschlagsplatz umsortieren und zehn Lieferwagen vom gleichen Dienstleister oder gar nur noch an zehn Paketstationen liefern?
Konsolidierung auf Umschlagsplätzen?
Immer wieder sagen «Experten», dass mehr konsolidiert werden müsse. Mit Verlaub: Das ist eine ziemlich schlechte Idee. Konsolidierung heisst: abladen, neusortieren, erneut beladen. Wer sich ein klein wenig mit Paketlogistik auskennt, weiss, dass die Grenznutzenerhöhung einer solchen Konsolidierung in Bezug auf die Optimierung der Fahrzeugauslastung kaum den einstelligen Prozentbereich übersteigen wird – jede Erhöhung der Gesamtpaketmenge dürfte den grösseren Grenznutzen ausweisen. Die Grenzkosten einer solchen Konsolidierung sind aber immens: Sie benötigt wertvolle und rare Fläche, Investitionen in Infrastruktur, neue Dienstleister, sie macht Prozesse langsamer beziehungsweise reduziert die Verlässlichkeit (Zustellzeitpunkt) – und alles wird schlicht viel teurer.
Paketstationen als Lösung?
Wenn wir für die Altstadt von Bern von einer täglichen Paketmenge von 4000 Paketen ausgehen (das entspricht circa 20 vollen KEP-Lieferwagen pro Tag), müssten also Paketstationen mit Kapazitäten von rund 8000 Ablagefächern gebaut werden, da die Menge nicht gleichmässig verteilt ist und ein Paket im Schnitt länger als einen Tag dort liegt. Eine «MyPost24»-Station hat etwa 80 Ablagekästchen in verschiedenen Formaten. Das heisst, rund um die Innenstadt Bern müssten also 100 solcher Stationen aufgestellt werden oder aber zehn zentrale Abholstellen mit je circa 800 Ablagefächern. Die grosse Frage lautet: Wo genau gibt es diesen Platz, und wie kommen junge und alte Menschen dorthin? Wohl kaum nur zu Fuss...
Zwischenstopp einlegen
Einfache Berechnungen helfen, Dimensionen einzuordnen. Genaue Daten unterstützen Konzepte. Aktuell werde ich den Eindruck nicht los, dass beides fehlt und vor allem gut tönende Konzepte präsentiert werden. Umsetzen muss sie dann ein anderer. In diesem Sinne empfehlen wir vom Verband Handelsverband.swiss einen Zwischenstopp: Zahlenmaterial nochmals genau aufbereiten, realistische Annahmen treffen – und dann dürfte man zum Schluss kommen: Es braucht ein paar Paketstationen, aber ohne Hauszustellung geht es nicht.